TK: Herr Sydow, Sie sind neuer Leiter der Abteilung Gesundheit im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration. Diesen Posten übernehmen Sie in einer besonders herausfordernden Zeit. Was sind Ihre ersten Eindrücke in Ihrer neuen Funktion? 

Stefan Sydow: Da ich bereits im Frühjahr bis Sommer letzten Jahres Sonderbeauftragter COVID-19 des Ministers war, ist mir die Gesundheitsabteilung nicht fremd. Neben der Herausforderung durch die Pandemie ist der Gesundheitsbereich durch eine extreme Themenvielfalt und Vernetzung der einzelnen Bereiche geprägt. Gleichzeitig erlebe ich äußerst engagierte Menschen auf allen Ebenen, gerade in der Zeit der Pandemie. Gleichwohl ist die Last bei allen nach über einem Jahr deutlich spürbar. 

Stefan Sydow

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Leiter der Abteilung Gesundheit im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration

TK: Welche Stärken und Schwächen des hessischen Gesundheitswesens hat Corona aus Ihrer Sicht aufgezeigt? 

Sydow: Das Virus hat bekannte Defizite in allen Ländern verstärkt und gnadenlos sichtbar gemacht, das würde ich vor allem an den Strukturen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), aber auch im Infektionsschutz festhalten wollen. Gleichzeitig hat aber der ambulante und stationäre Sektor in enger Abstimmung Herausragendes geleistet.

Bei aller Belastung hatte ich nie Anlass zu Panik, dass unser Gesundheitswesen der Belastung in Hessen nicht standhält. Im Gegenteil. Ich hatte stets Vertrauen in die handelnden Personen in den jeweiligen Bereichen. Gerade die Vernetzung von stationärem sowie ambulanten Sektor, dem ÖGD, dem Rettungsdienst und der Pflege hat gezeigt, was wir zusammen miteinander zu leisten vermögen. 

TK: Vor Ihrem Wechsel an die Spitze der Abteilung Gesundheit haben Sie im HMSI die Abteilung Asyl geleitet und in dieser Funktion 2015/16 die sogenannte Flüchtlingskrise miterlebt. Welche Parallelen sehen Sie in Sachen Krisenmanagement zwischen der Situation damals und der Bewältigung der Pandemie heute?

Sydow: Krisen bieten immer wieder Chancen, nüchtern über altbekannte Strukturen nachzudenken und neue Wege einzuschlagen. Als Beamter erlebt man ungeahnte Freiheiten des Handelns, da auch die politische Leitung nach Improvisationen und neuen Ideen sucht und angesichts der Herausforderungen noch besser unterstützt. Auch die Verwaltung leistet in diesen Zeiten wieder Herausragendes und ich bin dankbar, ein Teil davon sein zu dürfen. 

TK: Was tun Sie, um sich in das breite Spektrum der Themen im hessischen Gesundheitswesen - jenseits von Corona - einzuarbeiten und den Kontakt zu den vielen unterschiedlichen Akteuren aufzubauen?

Sydow: Meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen helfen mir sehr mit ihrem Fach- und Hintergrundwissen. Zudem führe ich Gespräche mit vielen Akteuren aus den diversen Gesundheitsbereichen und binde diese aktiv in die Steuerung mit ein, zum Beispiel in den "Planungsstab Stationär". Darüber hinaus besuche ich Einrichtungen vor Ort soweit möglich unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Und an diesen Orten tausche ich mich auch mit den diversen Berufsgruppen aus. 

TK: Das hessische Gesundheitswesen steht auch unabhängig von der Pandemie vor großen Herausforderungen. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf? 

Sydow: Die Pandemie wird unsere Gesellschaft und damit auch den Gesundheitssektor nachhaltig beeinflussen, denn das Virus wird ein Teil unseres Lebens, der neuen Normalität sein. In den Auswirkungen sind es insbesondere sowohl die finanzielle Situation, aber auch "die Welle" an aufgeschobenen oder verzögerten elektiven Behandlungen. Diese Aspekte werden maßgeblich unser zukünftiges Handeln beeinflussen, denn wir müssen auch wieder das Vertrauen unserer Patientinnen und Patienten in Teilen zurückgewinnen. 

TK: Welche weiteren Akzente wollen Sie in Ihrer Arbeit in den kommenden Jahren setzen?

Sydow: Mein Auftrag ist zunächst die Pandemie so zu bewältigen, dass das Gesundheitswesen vor einer Überlastung verschont bleibt, damit die Versorgungsqualität sichergestellt und Versorgungssicherheit gegeben ist. Das ist für mich die oberste Prämisse. Dafür orientieren wir uns im Handeln an den politischen Entscheidungsträgern.

In der Auseinandersetzung mit der Pandemie haben wir zahlreiche Erkenntnisse unter der realen Belastung durch Corona gewinnen können. Und: Seit zig Monaten leisten unsere Pflegekräfte einen unglaublichen Einsatz. Das wird einfach Kraft kosten und daher Bedarf die Pflege besonderer Aufmerksamkeit.

Auch gilt es psychologische Unterstützung im Nachklang zur Verfügung zu stellen, denn die derzeitigen Erlebnisse entsprechen seit Monaten nicht der Normalität im Pflegebereich. Dazu kommen auch die gewonnenen Einsichten in den Alten- und Pflegeeinrichtungen, die es beizubehalten und zu verbessern gilt. 

TK: Zurzeit sind Sie sicherlich fast permanent im Einsatz. Wie schaffen Sie für sich einen Ausgleich zu den Anforderungen Ihres Arbeitsalltags? 

Sydow: Soweit möglich suche ich meinen Ausgleich auf dem Mountainbike, gerade die Wege zur Arbeitsstelle helfen ein wenig abzuschalten. Daneben noch ab und an einen guten "Single Malt Scotch Whisky" für den Geschmacks- und Geruchssinn. Nicht zu vergessen die Familie. Die drei Dinge helfen mir, die Bodenhaftung nicht zu verlieren.

Zur Person

Stefan Sydow leitet im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) seit diesem Jahr die Gesundheitsabteilung. Bereits seit Oktober 2020 war er als kommissarischer Leiter für die Abteilung zuständig. Seither ist er außerdem, bedingt durch die Pandemiesituation, als Leiter der Sonderlage COVID-19 im HMSI tätig.

Als Sonderbeauftragter des Ministers für COVID-19 und Stabschef war er seit März 2020 in die Bewältigung der Pandemie eingebunden. Der diplomierte Politologe ist krisenerprobt: 2015 war sein Engagement als Leiter der Stabsstelle Asyl während der sogenannten Flüchtlingskrise gefragt, in der Folge übernahm er von 2016 bis 2020 die Leitung der Abteilung Asyl und 2017 in Doppelfunktion die kommissarische Leitung der Abteilung Integration.

Bevor das HMSI sein Arbeitgeber wurde, durchlief er verschiedene Stationen im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Diese Zeit sowie 13 Jahre Erfahrung als Zeitsoldat der Bundeswehr, davon sieben Jahre als Offizier und stellvertretender Kompaniechef der Fallschirmjägertruppe sowie ein Jahr im Rahmen des KFOR-Einsatzes im Kosovo, haben ihn geprägt. Heute lebt der 49-jährige Sydow mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter in Taunusstein.